In der Autoindustrie steht “GT” für Grand Touring und beschreibt die Fahrzeugklasse der Strassensportwagen. Unter Bergführern meint “GT” Gletschertrekking, eher gemütlich als sportlich - aber Grand Touring und wie! Meistens wandert man stunden- und kilometerweit dahin. Es ist vielleicht nicht die Königsdisziplin des Bergsports und doch vom Erlebnis her immer wieder unglaublich intensiv.
Spannend war schon der Auftakt. Mehr oder weniger auf dem Joch entscheiden Adi Büschlen und ich, unsere Gäste aus terminlichen Gründen auszutauschen. Anstatt einer 8er- habe ich jetzt eine 4er-Gruppe und statt deren zwei bin ich drei Tage unterwegs: Konkordia-Hollandia-Lötschenlücke. Die Hollandia-Hütte ist zwar schon geschlossen, doch wir sollten den vielleicht besten Winterraum vorfinden, den die Alpen zu bieten haben.
Meine vier Gäste sind Wissenschaftler, Erdbebenexperten. An der Kaffeebar lausche ich ihren Ausführungen. Gelegentlich erinnere ich mich an etwas aus meiner eigenen Studienzeit. S-Wellen, P-Wellen, klar… Los geht’s. Mit einigen anderen Seilschaften verlassen wir das Joch.
Mir kommt das immer vor, wie eine Armada von Schiffen, die den Hafen verlässt und den nächsten Landepunkt namens Konkordia ansteuert. Die Hütte thront ja auch wie ein Leuchtturm hoch über dem Gletschermeer. Bis dahin ist es GT as usual, die Konkordia-Hütte ist randvoll aber gesellig, die Curry-Linsensuppe top. Von der gemütlichen Terrasse ahnt man noch nicht, wie spannend der nächste Tag werden sollte.
Während alle anderen Schiffe tags darauf den Weg nach Fiesch aufnehmen, steuern wir westwärts. Schon bald türmen sich meterhohe Eiswellen auf, ein Spaltenlabyrinth als amuse-bouche. Wir suchen unseren Weg vorbei an imposanten Eisgebilden, finden mal da, mal dort einen Durchschlupf. Der Weg nach Hollandia führt heute ums Kap der guten Hoffnung. Doch wir lassen uns nicht versenken.
Zum Schluss bewältigen wir noch steile Kletterei über den Kettenweg zur Hollandia-Hütte, welche einsam auf uns wartet. 20 Eier, 2,5 Kilo Rösti und ein Meringue-Dessert durften wir vorfinden und verschlemmen. Und während es drinnen heimelig wird, zieht am Himmel die Milchstrasse vorbei.
Noch lange blicken wir tief in den Himmel, entdecken Planeten, Sterne und Satelliten. Fragen und Antworten.
- Ob die Menschheit je einen anderen Stern erreichen kann?
Nur wenn es gelingen sollte, das All zu falten.
- Fremdes Leben?
Ziemlich sicher. Doch für uns Menschen nur detektierbar, wenn die fremde Zivilisation sich in einem ähnlichen Stadium wie die unsere befände und Radiowellen aussendet.
Entweder die Fremden sind noch nicht so weit. Oder bereits darüber hinweg. Sprich: sie haben sich selbst ausgelöscht. Darum ist es ruhig im All. Plötzlich erscheinen mir die Berge um uns herum ganz klein.
Tags darauf ist dann doch wieder alles ganz gross. Der Weg zur Fafleralp zieht sich. Die Landschaft ist ein eindrückliches Naturschauspiel, aber auch ein dramatisches. Die Ränder des Langgletschers sind weit unterschmolzen, eisige Flossen bäumen sich auf, als übten sie den Aufstand gegen das Unvermeidliche. Wir sind dabei, uns auszulöschen.
Als wir längst bei der Fafleralp unter Sonnenschirmen sitzen, zurück in der Nochzivilisation, löschen wir erstmal unseren Durst, als ein Felssturz in die Lötschenlücke donnert. Eine Weile hängt eine braune Staubwolke im Tal. Dann endet dieses GT, das für einmal nicht nur auf dem Boden statt fand.
Wie lange senden wir noch Radiowellen? Und wird einst eine nächste Spezies, die sich für die Intelligenteste im All hält, vergeblich nach uns suchen?
13.18 fährt der Bus.
Bilder: Laurentiu Danciu